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Nr. Datum der Silencing Institution Verstummte Person / Organisation
13.12.2023 Heinrich Böll Stiftung, Bremen Senat 23-12-13_Masha Gessen
Summary:

Heinrich-Böll-Stiftung und Stadt Bremen sagen Verleihung von Hannah-Arendt-Preis an Masha Gessen ab

Am 13. Dezember 2023 sagten die Heinrich-Böll-Stiftung Berlin sowie die Heinrich-Böll-Stiftung Bremen ihre Teilnahme an der Vergabe des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken an den:die diesjährige:n Preisträger:in Masha Gessen ab. Masha Gessen, geb. 1967 in Moskau als Nachfahr:in von jüdischen Holocaust-Überlebenden, ist Journalist:in und Schriftsteller:in mit Wohnsitz in New York. Der Preis wird vom Verein Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken mit Sitz in Bremen getragen und ist eine Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Senat der Freien Hansestadt Bremen, die auch das jährliche Preisgeld von 10.000 € stiften.

Als Grund für die Absagen wurde insbesondere ein Essay benannt, den Gessen am 9. Dezember im New Yorker veröffentlichte und in welchem er:sie die Lage in Gaza mit jüdischen Ghettos im besetzten Europa vergleicht: „[…] Vermutlich hätte der passendere Begriff »Ghetto« Kritik auf sich gezogen, weil er die Lage der belagerten Menschen im Gazastreifen mit der Lage der ghettoisierten Juden vergleicht. Doch er hätte uns auch die Sprache gegeben, um zu beschreiben, was jetzt in Gaza passiert. Das Ghetto wird liquidiert.“

In einem offenen Brief vom 13.12.2023 hatte erst die deutsch-israelische Gesellschaft Bremen/Unterweser die Aussetzung der Preisverleihung an Masha Gessen gefordert. Eine Ehrung Gessens stünde „dem notwendigen entschlossenen Auftreten gegen den wachsenden Antisemitismus“ entgegen, sein:ihr Denken stehe „in deutlichem Gegensatz zum Denken Hannah Arendts“. Die Böll-Stiftungen begründeten ihre Absagen ähnlich. Gessen impliziere, „dass Israel das Ziel hat, Gaza wie ein Nazi-Ghetto zu liquidieren. Diese Aussage ist kein Angebot zur offenen Diskussion, sie hilft nicht, den Konflikt im Nahen Osten zu verstehen. Diese Aussage ist für uns nicht akzeptabel und wir weisen sie zurück.“ Zuvor hatte sich der Senat der Stadt Bremen von der Preisverleihung zurückgezogen, wodurch das Rathaus als Veranstaltungsort für die mit mehreren hundert Gästen geplante Veranstaltung nicht mehr zur Verfügung stand.
Der Verein Hannah Arendt Preis für Politisches Denken bedauerte die Absagen und stand hinter der Verleihung des Preises an Gessen. Aufgrund der fehlenden Räumlichkeiten führte der Verein die Preisverleihung in sehr kleiner Runde in einem privaten Haus durch.

Am 18.12.2023 fand in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin eine kurzfristig angesetzte Podiumsdiskussion mit Masha Gessen und dem Vorstand der H.B.-Stiftung statt. Gessen betonte dort, dass die Einladung der Böll-Stiftung zunächst einem privaten Gespräch galt und dieses erst auf den Vorschlag Gessens hin als öffentliche Diskussion durchgeführt wurde, bedankte sich aber auch für das Möglichmachen des öffentlichen Gesprächs. Gessen verteidigte hier so wie in Interviews den kritisierten Vergleich: „Der größte Unterschied zwischen Gaza und den jüdischen Ghettos im besetzten Europa ist, dass die meisten in Gaza noch leben und die Welt noch die Gelegenheit hat, etwas dagegen zu tun“. Gessen äußerte sich kritisch zum gesamten Vorgang: „Es war ein Versuch, mich zum Schweigen zu bringen, der gescheitert ist. Und ich bin froh, dass er gescheitert ist.“ Der Fall erlangte auch international große Aufmerksamkeit.

Place of Silencing: Bremen
Type of Institution: Politics & State
Institution: Heinrich Böll Stiftung, Bremen Senat
Identity of Silenced Person: Jewish / Jewish heritage
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