Crowdsourced-Archiv, das die zum Schweigen gebrachten Stimmen in Deutschland dokumentiert.
Nr. Datum der Silencing Institution Verstummte Person / Organisation
01.05.2024 HAU Hebbel am Ufer Berlin 24-05-01_Afghan panelist
Summary:

HAU lädt afghanische Panelteilnehmerin aus, nachdem sie auf palästinensische Repräsentation beim feministischen Festival bestanden hat

Im April 2024 erhielt ich eine Einladung des HAU, an der Eröffnungsdiskussion des Programms Patterns for Life - Feministische Kulturtechniken aus Iran, Israel, Marokko, Palästina, Syrien und Tunesien teilzunehmen.
Die andere Panelteilnehmerin sollte eine bekannte Persönlichkeit mit türkischen Wurzeln aus der deutschen postmigrantischen Szene sein. Ich sollte eine diasporische Perspektive aus Afghanistan vertreten. Thema der Diskussion sollten feministische kulturelle Praktiken aus unseren Herkunftsländern sein.

Es wurde anerkannt, dass der Wunsch bestand, über den Völkermord in Gaza zu diskutieren, aber es wurde betont, dass dies nicht der einzige Schwerpunkt sein könne. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass eine palästinensische Künstlerin bereits angefragt worden war, aber abgelehnt hatte, weil das HAU keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Völkermord in Gaza garantieren konnte.

Ich bat um Bedenkzeit und erklärte später, dass meine Teilnahme nur möglich sei, wenn mindestens eine palästinensische oder arabische Stimme beteiligt sein würde. Damit wollte ich der Dämonisierung und Ausgrenzung in der deutschen Kunst- und Kulturszene entgegenwirken, was mir sehr am Herzen liegt.

In seiner Antwort erklärte das HAU, dass die palästinensische Perspektive bereits im Programm enthalten sei, dass es sich um eine kuratorische und nicht um eine politische Frage handele und dass es keine politischen Gründe gäbe, die gegen eine:n palästinensische:n Panelteilnehmer:in sprächen.

Nachdem ich auf meine Bedingung bestanden hatte, herrschte zehn Tage lang Schweigen, bis ich einen Anruf in einer anderen Angelegenheit erhielt, in welchem das HAU beiläufig erwähnte, dass sie eine iranische Künstlerin eingeladen hatten, die nun bereits zugesagt hätte, so dass meine Teilnahme nicht mehr notwendig sein würde. Der Anruf endete, ohne dass ich die Möglichkeit hatte, zu antworten.

Anfang Juni ging das Programm mit dem Eröffnungspanel online. Ich beschloss vorerst nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern mit Freund:innen über meine Erfahrungen zu sprechen. Freund:innen und Bekannte stellten fest, dass trotz des Schwerpunkts des Programms auf feministischen kulturellen Praktiken, einschließlich solcher aus Palästina, keine palästinensischen Perspektiven vertreten waren und dass ein Film mit Bezug zu Palästina, der gezeigt wurde, von einer Irin gedreht worden war.

Das HAU war sich der Aufregung, die diese Diskussionen verursacht hatten, nicht bewusst, bis es von mehreren Freund:innen und Bekannten damit konfrontiert wurde, dass eine prominente Teilnehmerin von der israelischen Regierung finanziert würde und dass trotz gegenteiliger Behauptungen keine palästinensischen Perspektiven vertreten seien.

Daraufhin versuchte das HAU verzweifelt, eine:n palästinensische:n Teilnehmer:in zu gewinnen, aber alle lehnten ab, denn diese Bemühungen kamen erst nachdem das HAU erkannt hatte, dass sie ihre Glaubwürdigkeit bei Menschen, die über mehr soziales Kapital und „Bedeutung“ verfügten als ich, verlieren würden. Folglich erfuhr ich auch, dass bekannte Palästinenser:innen privat unter Druck gesetzt wurden, an der Veranstaltung teilzunehmen und dass von „Undankbarkeit” die Rede war, wenn die Einladung aufgrund der Tatsache, dass die Unglaubwürdigkeit vom Vorgehen des HAUs sich herumgesprochen hatte, nicht angenommen wurde.

Nach Bekanntwerden des Skandals in der Szene wurde das Panel plötzlich um drei Teilnehmende erweitert, von denen eine ägyptische Wurzeln hat. Nachdem sich mehrere Programmteilnehmende zurückgezogen hatten darunter auch die irische Regisseurin und die türkischstämmige Panelteilnehmerin, verstärkte das HAU seine Bemühungen, eine:n palästinensische:n Teilnehmer:in zu finden, aber niemand wollte nach dem Skandal tokenisiert werden.

Am 19. Juni 2024 veröffentlichte das HAU eine unspezifische Erklärung über den Rückzug der Teilnehmer:innen aus dem Programm, ohne die Gründe dafür zu nennen, und änderte den Namen des Programms, da es wusste, dass der Bluff mit der palästinensischen Vertretung aufgeflogen war.

Zwei Schlüsselfragen offenbaren die Unglaubwürdigkeit des HAU:

  1. Warum sollte man eine Künstlerin einladen, wenn die Einladung nicht verbindlich ist, weil eine zuvor eingeladene Person zugesagt hat? Dabei wird auch übersehen, wie das Programm zur Unsichtbarkeit der Afghaninnen beiträgt, die oft im Schatten der Iranerinnen stehen.
  2. Warum waren nach Bekanntwerden des Skandals plötzlich Plätze für zusätzliche Panelteilnehmende, insbesondere arabischer oder palästinensischer Herkunft, frei?

Place of Silencing: Berlin
Type of Institution: Arts & Culture
Institution: HAU Hebbel am Ufer Berlin
Identity of Silenced Person: BIPoC
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